Reingehört beim Sozialverband VdK Baden-Württemberg

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Lippenherpes: Gibt es wirklich kein Entkommen?

Willkommen zu „Reingehört beim Sozialverband VdK Baden-Württemberg. Was Patientinnen und Patienten wirklich interessiert.“ Schätzungen zufolge sind etwa 60 bis 90 Prozent der Erwachsenen weltweit von Lippenherpes betroffen. Häufig führt diese Erkrankung zu unangenehmen Bläschen an der Lippe – dabei geht es um viel mehr, als um die unschöne Optik, die Flecken und Blässchen verursachen. Der Lippenherpes kann wehtun und das Wohlbefinden massiv negativ beeinflussen.

Wir klären heute für Sie die wichtigsten Fragen zum Thema Ansteckung, Symptome und Behandlung. Mein Name ist Andrea Pfennig und ich freue mich, über neue Erkenntnissen durch meinen heutigen Gast. Ich begrüße VdK-Patientenberaterin Monika Müller.

Hallo Frau Müller.

Hallo Frau Pfennig.

1. Frau Müller, viele Menschen leiden regelmäßig unter schmerzhaften Blässchen im äußeren Mundbereich – dem Lippenherpes. Vielleicht zunächst erst mal zu den Grundlagen: Um welche Art der Erkrankung handelt es sich denn hierbei?

Bei Lippenherpes handelt es sich um eine Virusinfektion, die durch den sog. Herpes-simplex-Virus Typ 1 ausgelöst wird. Die Primärinfektion, also die erste „Ansteckung“, bleibt in der Regel dabei häufig unerkannt.

2. Was meinen Sie mit „bleibt unerkannt?“ Das Lippenherpes ist doch mit der Bläschenbildung deutlich als Infektion erkennbar.

Was ich damit sagen möchte ist, dass das Virus nach der Primärinfektion zunächst nicht „ausbricht“, sondern häufig in ein sog. Latenzstadium übergeht, d.h. es schlummert zunächst in den Knoten (Ganglien) des Gesichtsnervs. Nach der Ansteckung, bleiben sie lebenslang dort. Von dort aus können Sie dann jederzeit ausbrechen. D.h. sie wandern entlang der Nervenfasern in die Lippen und lösen dort die typische Bläschenbildung aus.

3. Und wie überträgt sich das Herpesvirus, also wie kann man sich anstecken?

Die Übertragung findet meist schon im Kindesalter durch Kontakt mit virenhaltigem Speichel statt und bleibt, wie bereits gesagt, lebenslang bestehen.

Man kann sich aber auch noch später anstecken, z.B. beim Küssen, also, wenn Sie jemanden mit Lippenherpes küssen oder dessen Besteck benutzen, denn die Viren werden in der Regel durch die Flüssigkeit in den Bläschen übertragen.

Theoretisch scheint es zwar möglich, andere anzustecken, wenn man gerade keinen akuten Ausbruch hat – da dies aber nur sehr selten passiert, können Betroffene auf Vorsichtsmaßnahmen verzichten, solange sie gerade keinen Lippenherpes haben.

4. Wie viele Menschen in Deutschland sind denn von dieser Infektion tatsächlich betroffen?

Man schätzt, dass so ca. 60 bis 90 Prozent der Menschen in Deutschland Herpes-simplex-Viren vom Typ 1, also die Erreger von Lippenherpes – in sich tragen. Mit zunehmendem Alter steigt die Ansteckungswahrscheinlichkeit.

5. Das ist ja eine immense Anzahl. Jetzt haben sie vorher erklärt, dass das Virus nach der Ansteckung im Körper schlummert. Gibt es denn Menschen, die sich zwar infiziert haben trotzdem nie einen Lippenherpesausbruch erleben?

Ja, die gibt es. Diese Menschen wissen auch in der Regel nicht, dass sie sich angesteckt haben und den Virus in sich tragen, da sie ja keine Beschwerden entwickeln. Medizinerinnen und Mediziner gehen davon aus, dass nur etwa 20 bis 40 Prozent der Menschen, die sich angesteckt haben, auch irgendwann Lippenherpes bekommen.

6. Das ist ja interessant. Und gehören diese 20-40 Prozent der Menschen zu einer bestimmten „Risikogruppe“ oder gibt es bestimmte Bedingungen die den Ausbruch der Infektion eher begünstigen? Man kennt ja z.B. auch so Geschichten darüber, dass sich jemand in einer bestimmten Situation so sehr geekelt hat, dass es anschließend zu Lippenherpes kam. Lässt sich das erklären oder gehört das doch eher in das Reich der Mythen …?

Was man sicher sagen kann, ist, dass es bestimmte Bedingungen gibt, unter denen die Bläschen hauptsächlich auftreten. Das ist z.B. bei einem geschwächten oder geforderten Immunsystem der Fall – zum Beispiel durch eine Erkältung oder Fieber. Auch körperliche Anstrengung, Stress und hormonelle Schwankungen gelten als mögliche Auslöser – ebenso wie eine Reizung der Haut im Lippenbereich, etwa durch Sonnenlicht oder intensives Küssen. Das mit dem Ekel kenne ich auch. Das könnte damit zusammenhängen, dass der empfundene Ekel so viel Stress auslöst, dass der Herpes aktiviert wird.

Besonders sind aber Menschen betroffen, die dauerhaft ein geschwächtes Immunsystem haben, beispielsweise ChemopatientInnen. Auch Kinder und Ältere sind häufiger betroffen, daher könnte man diese Menschen durchaus als „Risikogruppe“ bezeichnen. Warum einige Menschen immer wieder Lippenherpes bekommen und andere nicht, ist aber nicht vollständig geklärt.

7. Wenn es zum Ausbruch von Lippenherpes kommt, wie geht das von statten? Mir selbst ist das noch nie passiert, aber ich höre es immer wieder von Bekannten, dass sie im Vorfeld eines Ausbruchs so ein Kribbeln spüren. Gibt es tatsächlich solche Symptome vor einem Lippenherpes-Ausbruch, der diesen ankündigt?

Diese Symptome von Kribbeln und Jucken der Lippe beschreiben viele Menschen tatsächlich, bereits einige Stunden oder am Tag bevor sich sichtbare Bläschen bilden.

Nach dem Kribbeln kommt die Bläschenbildung, die sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Also von einzelnen wenigen Bläschen bis hin zu ganzen „Nestern“ von Bläschen. Diese trocknen dann irgendwann aus und bilden Krusten. Dann dauert es etwa 1 bis 2 Wochen, bis der Lippenherpes wieder verschwunden ist. Die kleinen Wunden hinterlassen aber keine sichtbaren Narben.

8. Gibt es denn wirksame Behandlungsmöglichkeiten gegen den Lippenherpes?

Die gibt es schon, da Lippenherpes aber meist von selbst ausheilt, ist eine Behandlung normalerweise gar nicht notwendig.

9. Aber man kennt doch diese „antiviralen“ Cremes und Tabletten, haben die denn dann gar keine Wirkung?

Diese virushemmende Salben, Cremes, Pflaster oder Gele, die Sie hier ansprechen, können einen akuten Ausbruch um ungefähr einen Tag verkürzen. Sie enthalten die Wirkstoffe Aciclovir oder Penciclovir und sind rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. In der Tat können diese Mittel teilweise sogar verhindern, dass sich Bläschen und Krusten bilden, wenn man sie richtig anwendet.

10. Aha. Und wie sieht diese richtige Anwendung aus?

Wichtig ist, dass man die Behandlung innerhalt von 24 Stunden beginnt, sobald sich die ersten Symptome zeigen. Am besten ist es, so früh wie möglich anzufangen. Die Mittel werden dann 5 Tage lang alle 2 bis 3 Stunden dünn auf die betroffenen Hautstellen aufgetragen.

11. Gibt es auch noch andere wirksame Methoden zur Behandlung?

Es gibt noch eine Behandlung mit Tabletten, die den Vorteil haben, dass sie nur zweimal täglich eingenommen werden müssen. Aber auch hier verkürzt sich die Dauer des Lippenherpes nur um 1-2 Tage. Anders verhält sich das bei immungeschwächten Patienten. In 6 Studien konnte nachgewiesen werden, dass bei Patienten während einer Chemotherapie ein Lippenherpes bei 50 % der Probanden verhindert werden konnte, wenn Sie während dieser Zeit zusätzlich 4 bis 11 Wochen lang 2- bis 5-mal täglich Aciclovir eingenommen haben.

12. Wir haben ja vorher über mögliche Auslöser für Lippenherpes gesprochen, bzw. auch darüber, welche Personengruppen besonders gefährdet sind. Also, wenn bekannt ist, was die möglichen Auslöser sind, dann könnte man doch präventive Maßnahmen ergreifen, oder? Können Medikamente oder Verhaltensänderungen die Häufigkeit von Ausbrüchen reduzieren?

Verhaltensänderung oder auch -anpassung ist sicher sinnvoll, aber offenbar auch individuell unterschiedlich. Wer als Betroffener festgestellt hat, dass die Beschwerden nach bestimmten Situationen häufiger auftreten – etwa nach einem Sonnenbad –, kann versuchen, solche auslösenden Faktoren zu meiden oder sich zu schützen: Zum Beispiel kann man dann Sonnencreme oder eine gute Lippenpflege ausprobieren. Besondere Vorsicht ist sicher auch beim Solarium geboten. Empfehlenswert ist sicher auch, körperliche Belastungen gut einzuteilen und psychischen Stress zu vermeiden.

Der Nutzen einer prophylaktische Einnahme eines Virostatikas als Medikament konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Die Studienlage ist da einfach zu mager.

13. Was können Betroffene tun, um die Ansteckung von anderen Personen zu vermeiden?

Da die Ansteckung ja offenbar vor allem über die Flüssigkeit in den Bläschen stattfindet, gilt es den Kontakt damit zu vermeiden. Dazu sollte man einfache Hygieneregeln beachten. Also bitte bei einem akuten Lippenherpes-Ausbruch mit Blässchen nicht das Besteck oder auch Handtücher teilen, kein Küssen. Kein Oralverkehr, Hände waschen, wenn man sich an die Lippe gefasst hat (zum Beispiel nach dem Auftragen von Salbe) und auch beispielsweise Sport mit Körperkontakt vermeiden.

14. Lippenherpes kann sehr unangenehm werden, ist aber eigentlich eher harmlos – habe ich das richtig verstanden?

Das stimmt leider nicht ganz.

Die meisten „gesunden“ Menschen, die hin und wieder einen Lippenherpes bekommen, sind dadurch wenig eingeschränkt. Es ist sicher unangenehm und kann auch in der Anfangsphase etwas schmerzhaft sein, aber man kann zur Arbeit und in der Regel auch seinen Freizeitaktivitäten nachgehen. Für manche können die Symptome aber auch belastend sein, wenn z.B. ständig darauf geachtet werden muss, dass man die Viren nicht verbreitet. Manche ziehen sich bei einer Infektion eher zurück, da sie sich nicht attraktiv finden, wobei hier ein wenig Make Up oder ein spezielles Herpespflaster schon helfen kann.

15. Ok – ich höre schon das ABER….

Zu Recht: Denn etwas Anderes ist es bei Menschen, die bereits bereits ein stark geschwächtes Immunsystem haben – etwa Krebspatienten, die gerade eine Chemotherapie absolvieren. Hier kann ein Lippenherpes den Alltag massiv beeinflussen. Die Infektion kann länger andauern, ausgeprägter sein und sogar zu schweren Komplikationen wie einer Gehirnentzündung führen. Auch bei Menschen mit Hauterkrankungen wie Neurodermitis oder schweren Verbrennungen kann das Herpes-Virus größere Hautbereiche besiedeln dadurch einen erschwerten Verlauf nehmen. Hier gilt es in besonderem Maße darum, eine Ansteckung zu vermeiden und im Zweifel sollte auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden.

Vielen Dank, liebe Monika, für diese wertvollen und umfassenden Informationen und für das Gespräch – und Ihnen liebe Zuhörerinnen und Zuhörer – vielen Dank fürs Zuhören! – Wir hoffen, wir konnten die wichtigsten Fragen zum Thema Lippenherpes beantworten.

Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten zur VdK-Patientenberatung gibt es wie immer in den Shownotes dieser Episode. Und wir sagen: Tschüss, bis zum nächsten Mal!

Das war Reingehört beim Sozialverband VdK Baden-Württemberg – Was Patientinnen und Patienten wirklich interessiert.

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Über diesen Podcast

Im Podcast "Reingehört beim Sozialverband VdK Baden-Württemberg. Was Patientinnen und Patienten wirklich interessiert“ geht es um aktuelle Themen der VdK-Patientenberatung, ein exklusives Beratungsangebot des Sozialverbandes VdK Baden-Württemberg. Bei der VdK-Patientenberatung können sich Menschen in schwierigen Situationen unabhängig und neutral informieren zu gesundheitsrechtlichen, medizinischen oder psychosozialen Fragestellungen. Die Beratung erfolgt immer persönlich und individuell.

Die Expertinnen der VdK-Patientenberatung klären uns in diesem Podcast über unser Recht als Patientin oder Patient auf – unterhaltsam wie informativ. Sie helfen verschiedene Therapieansätze zu verstehen und unterstützen dabei, uns im Informationsdschungel zurecht zu finden. Welche Leistungen stehen mir zu und wo bleibe ich auf Kosten sitzen? Wie wird meine Patientenverfügung rechtskräftig – und worauf muss ich hier achten? Oder auch: Was muss ich tun, um trotz zunehmender Einschränkungen zuhause wohnen bleiben zu können?
Fragen, die oft unbeantwortet bleiben, werden hier im Podcast in Form von spannenden Interviews gestellt und unabhängig, kompetent und nicht zuletzt einfühlsam von den professionellen Beraterinnen beantwortet.

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von und mit Sozialverband VdK Baden-Württemberg e.V.

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